Samstag, 28. November 2015

Sucre und Potosi - zwei Perlen Boliviens

Auf der Rückfahrt aus dem Tiefland sollte ich gleich wieder Bestätigung für Sepps Beobachtungen bekommen. Ich wollte einen weiteren Nationalpark besuchen. Nach ausbeuterischer Taxifahrt mit einem Preis, für den ich ganz Bolivien hätte bereisen können, fand ich vor Ort alles verschlossen und ohne Mitarbeiter. Eine große Tafel am Eingang erinnerte an das 2004 von der EU finanzierte Projekt "Errichtung eines Nationalparkzentrums". Er sah aber alles verlottert aus und von Menschen weit und breit keine Spur. Als nach langen Warten doch jemand kommt und noch einen exorbitanten Eintritt von mir kassieren will, verlasse ich kopfschüttelnd das Gebiet. Zur Melkkuh will mich dann doch nicht machen lassen.
Cochabamba hat den größten Jesus der Welt,
noch zwei Meter höher als in Rio
Wie immer traumhafte Landschaften....
... beim erneuten Hochklettern ins Gebirge.
Eine nette "Halbfamilie" sitzt neben mir, der Papa
muss das Geld in Argentinien verdienen und ist selten zu Hause.
Ich lerne aber noch einen weiteren Idealisten kennen. Marko, 25, hatte seiner Schweizer Heimat den Rücken gekehrt und war kurz vor den Unterzeichnung eines Kaufvertrages für ein Stück Land mit Waldanteil. Er will mit Freunden eine kleine Landwirtschaft betreiben und träumt von einem naturnahen Leben, das er selbst nach seinen Vorstellungen prägen kann. Er hatte unsere Leistungsgesellschaft bewusst hinter sich gelassen, weil er nicht weiter unter diesen Abhängigkeiten leben wollte. Ob er solch einen langen Atem haben wird wie Sepp, frage ich mich?
Ich fahre weiter durch das Land und besuche dabei zwei ausgezeichnete Städte, Sucre und Potosi. Beide sind im Zentrum fur südamerikanische Verhältnisse wunderschön saniert. Sie gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und scheinen dadurch ausreichend Hilfsgelder bekommen zu haben. Auffallend ist auch, dass ganz im Gegensatz zu La Paz keine bettelnden Menschen zu sehen sind.
Sucre sieht glänzend aus,
hat viel Abwechslung zu bieten,
durch häufige Feste im Verlauf des Jahres,
...so dass man bis bis zum Dunkelwerden beschäftigt ist.
Sucre, die weiße Perle, glänzt mit einem bestens erhaltenen Stadtkern im kolonialen Stil der Spanier. Da auf 2.300 m Höhe auch das Klima sehr angenehm ist, macht es großen Spaß, die Stadt zu erkunden.
Mit Bolivianern ins Gespräch zu kommen, gestaltet sich für mich als ziemlich schwierig. Ich habe manchmal ganz anders als in Peru das Gefühl nicht richtig willkommen zu sein. Deshalb muss ich mich beim näheren Kennenlernen des Landes verstärkt auf die wenigen englisch oder deutsch sprechenden Bolivianer verlassen. Glücklicherweise lerne ich einen solchen in Sucre kennen. Er hatte als junger Mann Bolivien verlassen und war nach Deutschland gekommen. In Neuss, in Nordrhein- Westfalen hatte er eine Familie gegründet und als Zahntechniker sein gutes Auskommen. Wir verstanden uns auf Anhieb prima, weil seine große Fussball-Liebe Borussia Mönchengladbach galt. Seit einiger Zeit war er Rentner und verbrachte regelmäßig das Winterhalbjahr in seiner Heimat. Er war politisch außerordentlich interessiert und hatte die bolivianische Entwicklung über die Jahre genau verfolgt.
Er berichtet von den großen Erfolgen, die die linke Regierung vor allem im Kampf gegen die Armut erzielt hat. Alle Kinder gehen jetzt zur Schule. In jedem Dorf gibt es Wasser, das ganze Land ist in Leninscher Manier elektrifiziert worden und es gibt überall Krankenstationen mit je einem Krankenwagen. Die Alten erhalten eine zwar kleine, aber regelmäßige Rente und bei Familiengründung bekommt man eine finanzielle Unterstützung. Das hätte man sich vor 20 Jahren nicht träumen lassen. Diese hohen Sozialausgaben werden durch erhöhte Rohstoffverkäufe erzielt, die in den verstaatlichten Betrieben erwirtschaftet werden. Bolivien verfügt über große Erdgasvokommen, Eisenerz, was im Tagebau abgebaut werden kann und über hohe Lithiumvorräte. In den nächsten Jahren soll massiv in die industrielle Entwicklung investiert werden. Der Kontakt zu den USA ist jedoch vollständig abgebrochen. Doch dann kommt das große "Aber". Mein Gesprächspartner meint, man fühlt sich nicht mehr sicher in Bolivien. Kritik wird nur noch hinter vorgehaltener Hand geäußert, man kann schnell denunziert werden und eine unabhängige Justiz gibt es nicht. Im nächsten Jahr gibt es ein Referendum, wo Evo Morales seine Macht über viele Jahre verlängern will. Beim Abschied frage ich ihn, ob ich für meinen Blog ein Bild machen kann. Keine Namen, kein Bild, bittet er lächelnd. Das spricht Bände. Offenbar tappt Morales in die gleiche Falle, wie so viele linke Regierungen vor ihm innerhalb der Weltgeschichte.
Diese Steilwand konnte mit Dutzenden Saurierspuren aufwarten.
Das zugehörige Museum hatte schön anzusehende Modelle...
... in Originalgröße zu bieten.
Und man konnte bis an die Originale heran.
Unweit von Sucre darf ich noch eine erdgeschichtliche Sensation bewundern. Beim Abbau von Kalkstein wurden vor 20 Jahren sehr gut erhaltene Saurierspuren von vier verschiedenen Klassen entdeckt, um die man herum ein professionelles Museum errichtet hat. Die längste Spur ist dabei 250 m lang. Nach Walen und Kondoren darf ich nun auch noch neben einer Sauropodenspur stehen, den größten damals lebenden Tieren.
In Potosi erlebe ich dann wieder die Schattenseiten Boliviens. Die Stadt war im 16. Jahrhundert die reichste Stadt des amerikanischen Kontinents und hatte mehr Einwohner als Paris und Rom. Noch heute existieren sage und schreibe 36 Kirchen in der inzwischen nur noch regional bedeutenden Stadt.  Sie ist im Zentrum aber sehr gut restauriert und lädt zum Verweilen ein.
Potosi, ehemals reichste Stadt der Welt,
ist nach ihrem Niedergang inzwischen wieder hübsch anzusehen.
Auch am Abend ist Leben in der Stadt.
46.000 Tonnen Silber förderte man hier aus dem Berg Cerro Rico (reicher Berg), der die Stadt überragt und im Verlauf von vier Jahrhunderten um 200 m kleiner geworden ist, um die spanischen Schatzkammern damit zu füllen. Komplette Dorfgemeinschaften von Indios wurden in die Stollen getrieben und mussten bis zum Tode für die Spanier schuften. Heute, nachdem das Silber lange verschwunden ist, wird noch Zinn aus dem Berg geholt unter ebenfalls fast unmenschlichen Bedingungen. Dabei höre ich, dass in den Stollen immer noch Annaberger Bergrecht gilt, nachdem Experten aus dem Erzgebirge im 18. Jahrhundert hier wichtige Funktionen inne hatten.
Der nur noch 4.800 m hohe pyramidenhafte Cerro Rico überragt Potosi.
Teilweise kriechen wir auf allen Vieren in den Berg.
Dem Schutzheiligen wird Koka und Alkohol geopfert.
Ich habe die Gelegenheit das heutige Berwerk zu besuchen. Bei laufendem Betrieb darf man mit einem Führer zu einer Besichtigungstour aufbrechen. Wir klettern zwei Stunden lang in dem inzwischen wie einen Schweizer Käse durchlöcherten Berg herum. Wir atmen den gleichen Staub ein wie die Bergleute und scheinen nur vom Laufen so zu schwitzen wie sie. Es ist unerträglich heiß, stellenweise 35°C. Eine Belüftung gibt es nicht. Im Stollen treffen wir Kumpel und geben ihnen vorher gekaufte Geschenke, 70 %igen Alkohol, Kokablätter und Dynamit. Sie scheinen unseren Besuch als willkommene Abwechslung zu sehen und sich ihren Lohn mit unserem Besuch aufzubessern. Wir hören, dass die Lebenserwartung der Bergleute nicht einmal 50 Jahre beträgt. Meist rafft sie die Staublunge dahin. Der Berg ist an viele Genossenschaften verpachet die mit primitivsten Mitteln arbeiten.
So schuften die Kumpel im Inneren
Im Hintergrund zwei Brüder, 31 der eine, der andere jünger,
die sei 12 Jahren hier tätig sind.
Auch draußen sieht man nur erschöpfte Leute.
Die Regierung will die Stollen schon lange aus Sicherheitsgrund schließen, die Leute vor Ort machen aber einfach nicht mit. Es scheint nicht viel andere Arbeit in der Gegend zu geben. Zu Zeiten der Spanier wurde der Berg auch "Berg, der Menschen frisst" genannt. Ich verlasse den Stollen mit dem Gefühl, dass sich daran noch nicht viel geändert hat. Wieder etwas nachdenkliche Grüße von HW

Samstag, 21. November 2015

Bolivien - Von La Paz in den Regenwald

Erst wollte mich Bolivien nicht haben. Kurz vor dem Grenzübertritt  bekam ich einen Busanschluss nicht, das hieß, eine weitere Nacht in Peru. Dort erlitt ich dann wieder vom Billigessen auf dem Markt eine halbe Vergiftung, die mit Fieber, Erbrechen und heftigem Durchfall einherging, was noch eine Nacht ausmachte.
Ein letztes Mal Titcacasee, jetzt schon in Bolivien.
Auf solchen Seelenverkäufern werden Busse übergesetzt.
Als ich dann doch gut über die Grenze kam, war ich erschrocken, was mir in La Paz angeboten wurde. Die Hauptstadt Boliviens liegt wunderschön in einem Talkessel umgeben von Fünf- und Sechstausendern. Sie sieht mit zahlreichen Hochhäusern von weitem weltstädtisch aus. In den Strassen und Gassen der Stadt sieht man aber bitterste Armut. Viele bettelnde Menschen wechseln sich mit Frauen ab, die rund um die Uhr etwas verkaufen wollen, aber noch zwei kleine Kinder auf dem Schoß haben. Auch alte Großmütter sieht man häufig verkaufend an der Strasse sitzen und versteckt in einem Bündel ein Baby dazu. Ich lief durch die Straßen und wurde Stunde um Stunde deprimierter. Seit 200 Jahren ist das Land "unabhängig". Warum geht es den Menschen hier so schlecht? Ich kann jetzt mehr verstehen, warum Boliviens erster indigener Präsident Evo Morales bei UN-Tagungen immer  fast peinlich anklagend gegenüber den USA und der internationalen Weltpolitik auftritt.
armseliges Großstadtflair
Die höchst gelegene Hauptstadt der Welt - nichts für Kurzatmige
Alte Busse zieren das Stadtbild
Gleich eine Demo für höhere Löhne,
wobei sich Che und Pepsi heutzutage nicht mehr ausschließen
Ich hatte aber auch etwas Ablenkung in La Paz. Es fand gerade ein Qualifikationsspiel zur Fussball-WM statt - Bolivien gegen Venezuela. Das wunderschön von Bergen umgebene Stadion war leider nur halb voll, weil die Eintrittskarte für den normalen Fan sehr teuer war, wie mir Stadionbesucher berichteten. Ich konnte einen toll heraus gespielten 4:2-Sieg der heimischen Mannschaft miterleben, wobei ich von den etwas unterkühlten bolivianischen  Fans leicht enttäuscht war. Ich hatte mir mehr südamerikanische Leidenschaft gewünscht. Um so lauter ließ ich dafür die Sonntagsche Fussball-Leidenschaft hörbar werden...
Das Spiel beginnt...
... im herrlich gelegenen Stadion...
... mit etwas unterkühlten Fans.
Dann plante ich einen weiteren Aufenthalt im Regenwald in Boliviens schönstem Nationalpark Maditi. Leider hatte inzwischen die Regenzeit im dortigen Gebiet begonnen. Ich hatte im Fernsehen die überfluteten Straßen gesehen und musste damit rechnen, dass aus den 18 Stunden Busfahrt leicht auch fünf Tage werden können. Deshalb fuhr ich lieber die einzige ganzjährig befahrbare Straße in das Einzugsgebiet des Amazonas. Es war faszinierend von 4000 m Höhe bis fast auf Null hinunter zu fahren und dabei zahlreiche unterschiedliche Klima- und Ökosystemzonen zu beobachten.
Fahrt aus wolkigen Andenhöhen...
...bis ins Tiefland des Amazonas-Einzugsgebiets
Im Dschungel habe ich dann das große Glück, zufällig auf einen Mann zu treffen, der mich tief beeindruckt und dessen Gast ich kurze Zeit sein darf: Sepp Mitterer. Er hatte sich vor 25 Jahren entschieden, nicht den Hof seines Vaters am Chiemsee zu übernehmen, sondern in Bolivien ein abenteurlicheres Leben zu führen mit einem 50 ha großen Stück Wald, was er kaufte und seitdem nachhaltig bewirtschaftet. Er hat den Urwald mit zahlreichen Früchte tragenden Bäumen unterpflanzt, die er als Nahrungsquelle nutzt. Sein höchstes Anliegen besteht darin, den Wald zu schützen und im Einklang mit ihm zu leben. Er kennt jede Pflanze, jedes Tier und weiß zu jedem Phänomen eine interessante Geschichte zu erzählen. Er ist aber keineswegs ein idealistischer Spinner. Er ist Realist durch und durch. Er erinnert mich ganz stark an meinen leider viel zu früh verstorbenen Schwiegervater.
Sepp in seinem Element: er erklärt....
...seinen schier undurchdringlichen Dschungel.
Sepp macht alles weitestgehend  selbst. Er hat sich nach einem Holzhaus, in dem er lange lebte, endlich ein Steinhaus gebaut, wo Schlangen und Taranteln nicht mehr so einfach Zutritt haben. Er stellt selbst seinen Kaffee her, seine Schokolade aus den Kakaobohnen, seine Früchte holt er ohne Leiter von jedem Baum und er repariert seinen Uraltjeep, der ihn gerade noch so ins Dorf bringt, selbst. Beim Losfahren muss erst Luft aufgepumpt werden, die Colaflasche, die als Tank dient, mit Diesel gefüllt werden und dann geht es los. Es erinnert mich genauso an die alten Zeiten in der DDR. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist derzeit der Kampf gegen die Wilderer. In seiner Kommune sind das die ganz normalen Leute, die wegen der Aussicht auf etwas zusätzliches Geld in der Nacht auf Jagd gehen.
Was mir Sepp alles erzählt, lässt Bolivien in einem ganz neuen Licht erscheinen. Er kann kritisieren, weil er seit vielen Jahren mit den Leuten zusammen lebt, im Gemeinderat tätig ist, jeden kennt und auch von jedem freundlich gegrüßt wird. Sepp ist der Meinung, dass die Leute hier im Kopf einfach noch zwei Jahrhunderte früher leben, aber leider die heutige Technologie besitzen. Sie fahren mit ihren billigen chinesischen Motorrädern einfach tief hinein in den Wald und knallen alles ab, was vor die gut funktionierende Flinte kommt. Er zeigt mir dabei sichergestellte Selbstschußwaffen, die natürlich auch einen Menschen schwer verletzen können.
Eine Selbstschußwaffe, die in Oberschenkelhöhe...
...justiert und dann einfach in den Wald gestellt wird.
Einen Gemeinsinn gibt es noch nicht. Gegenseitige Hilfe ist ein Fremdwort, es sei denn die Hilfe wird bezahlt. Sich für die Allgemeinheit einsetzen, dieser Gedanke existiert einfach nicht. Deshalb würden auch so viele Hilfsprojekte nach einigen Jahren Selbstverwaltung sich einfach im Nichts auflösen. Sie gehen kaputt und die materiellen Werte vergammeln einfach.
Wald schützen, vielleicht solche Arten zu pflanzen, die nach 30 Jahren einen hohen Gewinn verzeichnen und somit eine Altersvorsorge sind, das kommt einem Boliviano nicht in den Kopf. Wenn er Geld braucht, fackelt er seinen Wald ab und pflanzt Trockenreis, der für ein oder zwei Jahre gute Kasse verspricht. Dass beim Abbrennen Nachbargrundstücke in Mitleidenschaft gezogen werden, ist nicht so schlimm. Der Nachbar kann doch auch gleich etwas Reis anpflanzen. Bei diesen Worten besuchen wir einen Bauern, der vor ein paar Tagen gerade sein Waldgrundstück abgebrannt hat.
Nach der Brandrodung
Sepp läßt sich aber die gute Laune nicht verderben
Kinder werden nicht erzogen, die erziehen sich von selbst, meint Sepp über die Bolivianos. Sie können machen, was sie wollen, es wird nicht geschimpft. Erziehung zu Gemeinsinn, zu Rücksichtnahme, zu Respekt findet kaum statt. Deshalb auch der unsagbar viele Müll auf der Straße. Und: ab 15 sind dann die Mädchen erwachsen und zählen sozusagen als "Freiwild". Deshalb findet man die vielen jungen Mütter mit Kindern, die ich ebenfalls gesehen hatte.
Bei jedem anderen hätte ich diesen Erzählungen mit großer Skepsis zugehört. Sepp konnte ich es gut abnehmen. Er hatte nämlich ein ganz weites Herz für "seine" Bolivianos.
Wenn er einen seiner wildernden Nachbarn stellt, lässt er ihn normalerweise nach vielen Ermahnungen und Erklärungen laufen. Er hofft auf einen langsamen Erziehungserfolg. Der Polizei zu übergeben, hätte auch wenig Sinn, meint er. Die Polizei, bei der er auch ein Jahr gearbeitet hat, wäre der korrupteste Haufen, den es überhaupt in Bolivien gibt. Man müsste den Täter mindestens bis ins Gefängnis begleiten und überall noch kräftig schmieren. Wer mehr zahlt, wird von der Polizei bevorzugt.
Kleinod  im immergrünen Regenwald
Abends bekommt Sepp häufig Besuch.
Sein Papagei fliegt tagsüber ins Dorf und schimpft,
wenn Sepp ihn am Abend zu spät abholt.
Als er das erzählt, fahren wir gerade an einem mit Melonen beladenen uralten Lastwagen vorbei, der liegen geblieben ist. Sepp sagt, dass er schon drei Tage hier steht, er selbst hatte schon versucht ihn abzuschleppen, was mit seinem alten Jeep aber nicht funktionierte. Die Werkstätten im Ort weigerten sich mit rauszukommen und nach der Ursache zu schauen. Die Leute liegen unter einem Deckenzelt und hoffen, dass am nächsten Tag Verwandte von weit her kommen und ihnen helfen. Sepp kauft in der Stadt zwei Hühnchen und bringt sie den Leuten, natürlich nicht ohne klipp und klar zu sagen: seht ihr, wie wichtig es ist, sich gegenseitig zu helfen.
Ich bin sprachlos und verstehe die Welt nicht mehr. Wie hältst du es hier aus, frage ich Sepp. Er lacht und strahlt, was sein Markenzeichen ist. Ich bin glücklich hier, meint er, ich kann das leben, was ich schon immer wollte, ich bin und bleibe ein Kämpfer, eben ein bayrischer Dickschädel. Mich haut so schnell nichts um. Und irgendwann werden es die Bolivianos schon noch begreifen. Das ist begnadeter realistischer Idealismus, der bei mir im Verlauf des Lebens im satten Europa auf der Strecke geblieben ist.
Inzwischen bin ich aus dem Tiefland wieder aufgetaucht. Tiere habe ich wie schon in Costa Rica im hier noch stärker zugewachsenen Regenwald kaum gesehen, mich aber an der "grünen Hölle" wenigstens visuell erfreut. Und: die vielen Erzählungen von Sepp gehen mir noch mächtig  durch den Kopf. Es grüßt wie immer HW

Samstag, 14. November 2015

Abschied von Peru - Colca-Canyon und ein Geständnis

Nach dem Chachani stand noch der Colca-Canyon auf dem Programm. Er ist deutlich tiefer als der Grand Canyon in den USA, weil die umgebenden Gipfel über 5000 m hoch sind und der Fluss auf etwa 2000 m fließt. Zwei Tage bin ich allein durch den Canyon gewandert, wieder etwas abseits der Touristenpfade und ich hatte erstmals das Gefühl, es ware schön, jetzt jemanden dabei zu haben mit dem ich das Gesehene teilen kann.
Reinwandern in den Canyon
Zauberhafte Unterkunft
Zur Entspannung 39°C warme Quellen
Ohne Strom - mit Kerze am Bett
Rauswandern - insgesamt weit über 3000 Höhenmeter
Im Colca-Canyon gibt es eine große Kondorpopulation. Diese größten Vögel der Welt wollte ich unbedingt sehen. Sie sind aber sehr eigenwillig, was ihre Beobachtung betrifft. Hatte ich am Tag vorher noch Leute getroffen, die ca. 15 Exemplare auf einmal gesehen hatten, so zeigte sich bei mir kein einziger. Jeweils an zwei Tagen versuchte ich ganz früh morgens, den ganzen Tag über, aber auch am Abend irgendeinen zu entdecken. Obwohl bestes Wetter war: Fehlanzeige. Als ich ein wenig traurig aus dem Canyon heraus wanderte, drehte plötzlich ein einzelner für mich eine kurze fünfminütige Ehrenrunde. Er kam aus dem Fels, schwebte hoch erhaben und stolz über meinem Kopf ohne einen einzigen Flügelschlag zu tun und lies sich wieder zu seinem Ausgangspunkt gleiten. Danke, lieber Kondor, das war echt nett von dir....
Da ist mein Freund - leider trotz Tele sehr weit weg
Was bleibt von Peru in Erinnerung?
Die Städte sind eigentlich ziemlich häßlich, weil die Häuser aus steuerlichen Gründen nicht fertig gebaut werden. Ausnahmen bilden nur die herausgeputzten Stadtzentren. Mitunter hausen die Leute vor allem im ländlichen Gebiet in richtig gehenden Hütten. Der Verkehr ist katastrophal. Es scheint das Recht des Stärkern zu herrschen.

Blick aus einem Hotelfenster
vorn Peru, hinten ein besseres Hotel
Hier wohnen wirklich Menschen
Auf dem Land sieht man viele im Fluss ihre Wäsche waschen.
Jede Familie scheint einen Hund zu haben. Da es sicher keine Kastrationen gibt, laufen in jeder Siedlung zahlreiche streunende Hunde herum. Sie ernähren sich hauptsächlich von herum liegenden Müllhaufen, weil dort in der Regel Essensreste zu finden sind. In Cusco habe ich einmal etwa 20 Hunde in einer Gruppe am frühen Morgen über den Hauptplatz der Stadt rennen sehen, leider konnte ich sie nicht so schnell fotografieren.
Hundestaffel beim Chillen
Nachwuchssorgen gibt es nicht
Typisch für jede Stadt ist der Straßenverkauf. Hier sieht man häufig alte Leute, aber auch junge Mütter mit Babys auf dem Schoß vor einem Verkaufsstand sitzen. Meist langweilen sie sich, weil niemand etwas kauft. Wahrscheinlich kann ein erträglicher Umsatz nur durch die Länge des Sitzens gemacht werden. Sie bauen ihre Stände sehr früh am Morgen auf und sitzen nach dem Dunkelwerden immer noch. Mitunter habe ich abends 23 Uhr noch Leute sitzen gesehen. Das berührt einen schon. Bettler sieht man auch, aber relativ wenige, meist sind es ganz alte Leute oder Behinderte. Kinder dagegen sieht man nie betteln.
Standaufbau am frühen Morgen
Angebaut und gegessen werden viele kohlenhydratreiche Nahrungsmittel, in erster Linie Kartoffel und Mais, aber auch viel Reis und Quinoa. Die Grundnahrungsmittel sich sehr billig und die Peruaner essen sehr viel. Deshalb sind die meisten auch nicht gerade dünn. Fast überall gibt es Menüs mit Suppe als Vorspeise und einem Kartoffel/Nudel/Reis-Gericht mit Hühnchen dazu, was meist nicht mal 2 EUR kostet. Das wird häufig gegessen und auch ich habe an den unzähligen Straßenständen regelmäßig davon Gebrauch gemacht.
Einfaches Gericht auf dem Land:
Kartoffeln, ein Wurzelgemüse und gebackener Käse
Es kann aber auch ganz anders gehen. Als Tourist kannst du erstklassig reisen. Es gibt in jeder größeren Stadt gute Hotels und Restaurants, wo  deutlich billiger als in Europa ausgezeichnet gelebt werden kann. Die Hotels sind sicher und sauber. Ungeziefer habe ich nie gesehen, selbst in den einfachen Hotels, in denen die Peruaner und ich verkehrt haben.
Am meisten in Erinnerung werden aber neben der grandiosen Landschaft, über die ich häufig berichtet habe, die Gesichter der Menschen bleiben, die so eindrücklich waren. Gern hätte ich euch noch ein paar ganz alte Leute gezeigt, die wollen aber einfach nicht fotografiert werden. Das habe ich natürlich respektiert. Die Kinder dagegen haben sich immer gefreut, wenn sie abgelichtet wurden.




Und es folgt noch ein Geständnis. Ja, ich habe es getan. Lange habe ich gezögert, aber am letzten Abend in Peru war es soweit. Ich hatte noch Geld übrig und musste es irgendwie ausgeben. Da ließ ich es mir servieren: das Meerschweinchen. Es braucht jetzt aber niemand Angst zu haben, dass ich in Deutschland die Kinderzimmer meiner Verwandtschaft für Nachschub durchstöbern werde, es schmeckte einfach nur durchschnittlich, am besten vergleichbar mit trockenem Hase. Fleisch war nicht viel dran, aber das kleine Hinterbeinchen wusste schon zu gefallen...
So sieht es aus das Nationalgericht Perus
Ein Vierteljahr ist seit meinem Start vergangen. Es geht mir immer noch sehr gut. Ich habe noch keinen Tag bereut und kann frohen Herzens sagen, es war bisher eine richtige Entscheidung, diese Reise in Angriff zu nehmen. Adios Peru, auf gehts nach Bolivien und Ende des Monats werde ich hoffentlich wieder eine Begleitung haben. Darauf freue ich mich. Wie immer beste Grüße HW