Samstag, 28. November 2015

Sucre und Potosi - zwei Perlen Boliviens

Auf der Rückfahrt aus dem Tiefland sollte ich gleich wieder Bestätigung für Sepps Beobachtungen bekommen. Ich wollte einen weiteren Nationalpark besuchen. Nach ausbeuterischer Taxifahrt mit einem Preis, für den ich ganz Bolivien hätte bereisen können, fand ich vor Ort alles verschlossen und ohne Mitarbeiter. Eine große Tafel am Eingang erinnerte an das 2004 von der EU finanzierte Projekt "Errichtung eines Nationalparkzentrums". Er sah aber alles verlottert aus und von Menschen weit und breit keine Spur. Als nach langen Warten doch jemand kommt und noch einen exorbitanten Eintritt von mir kassieren will, verlasse ich kopfschüttelnd das Gebiet. Zur Melkkuh will mich dann doch nicht machen lassen.
Cochabamba hat den größten Jesus der Welt,
noch zwei Meter höher als in Rio
Wie immer traumhafte Landschaften....
... beim erneuten Hochklettern ins Gebirge.
Eine nette "Halbfamilie" sitzt neben mir, der Papa
muss das Geld in Argentinien verdienen und ist selten zu Hause.
Ich lerne aber noch einen weiteren Idealisten kennen. Marko, 25, hatte seiner Schweizer Heimat den Rücken gekehrt und war kurz vor den Unterzeichnung eines Kaufvertrages für ein Stück Land mit Waldanteil. Er will mit Freunden eine kleine Landwirtschaft betreiben und träumt von einem naturnahen Leben, das er selbst nach seinen Vorstellungen prägen kann. Er hatte unsere Leistungsgesellschaft bewusst hinter sich gelassen, weil er nicht weiter unter diesen Abhängigkeiten leben wollte. Ob er solch einen langen Atem haben wird wie Sepp, frage ich mich?
Ich fahre weiter durch das Land und besuche dabei zwei ausgezeichnete Städte, Sucre und Potosi. Beide sind im Zentrum fur südamerikanische Verhältnisse wunderschön saniert. Sie gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und scheinen dadurch ausreichend Hilfsgelder bekommen zu haben. Auffallend ist auch, dass ganz im Gegensatz zu La Paz keine bettelnden Menschen zu sehen sind.
Sucre sieht glänzend aus,
hat viel Abwechslung zu bieten,
durch häufige Feste im Verlauf des Jahres,
...so dass man bis bis zum Dunkelwerden beschäftigt ist.
Sucre, die weiße Perle, glänzt mit einem bestens erhaltenen Stadtkern im kolonialen Stil der Spanier. Da auf 2.300 m Höhe auch das Klima sehr angenehm ist, macht es großen Spaß, die Stadt zu erkunden.
Mit Bolivianern ins Gespräch zu kommen, gestaltet sich für mich als ziemlich schwierig. Ich habe manchmal ganz anders als in Peru das Gefühl nicht richtig willkommen zu sein. Deshalb muss ich mich beim näheren Kennenlernen des Landes verstärkt auf die wenigen englisch oder deutsch sprechenden Bolivianer verlassen. Glücklicherweise lerne ich einen solchen in Sucre kennen. Er hatte als junger Mann Bolivien verlassen und war nach Deutschland gekommen. In Neuss, in Nordrhein- Westfalen hatte er eine Familie gegründet und als Zahntechniker sein gutes Auskommen. Wir verstanden uns auf Anhieb prima, weil seine große Fussball-Liebe Borussia Mönchengladbach galt. Seit einiger Zeit war er Rentner und verbrachte regelmäßig das Winterhalbjahr in seiner Heimat. Er war politisch außerordentlich interessiert und hatte die bolivianische Entwicklung über die Jahre genau verfolgt.
Er berichtet von den großen Erfolgen, die die linke Regierung vor allem im Kampf gegen die Armut erzielt hat. Alle Kinder gehen jetzt zur Schule. In jedem Dorf gibt es Wasser, das ganze Land ist in Leninscher Manier elektrifiziert worden und es gibt überall Krankenstationen mit je einem Krankenwagen. Die Alten erhalten eine zwar kleine, aber regelmäßige Rente und bei Familiengründung bekommt man eine finanzielle Unterstützung. Das hätte man sich vor 20 Jahren nicht träumen lassen. Diese hohen Sozialausgaben werden durch erhöhte Rohstoffverkäufe erzielt, die in den verstaatlichten Betrieben erwirtschaftet werden. Bolivien verfügt über große Erdgasvokommen, Eisenerz, was im Tagebau abgebaut werden kann und über hohe Lithiumvorräte. In den nächsten Jahren soll massiv in die industrielle Entwicklung investiert werden. Der Kontakt zu den USA ist jedoch vollständig abgebrochen. Doch dann kommt das große "Aber". Mein Gesprächspartner meint, man fühlt sich nicht mehr sicher in Bolivien. Kritik wird nur noch hinter vorgehaltener Hand geäußert, man kann schnell denunziert werden und eine unabhängige Justiz gibt es nicht. Im nächsten Jahr gibt es ein Referendum, wo Evo Morales seine Macht über viele Jahre verlängern will. Beim Abschied frage ich ihn, ob ich für meinen Blog ein Bild machen kann. Keine Namen, kein Bild, bittet er lächelnd. Das spricht Bände. Offenbar tappt Morales in die gleiche Falle, wie so viele linke Regierungen vor ihm innerhalb der Weltgeschichte.
Diese Steilwand konnte mit Dutzenden Saurierspuren aufwarten.
Das zugehörige Museum hatte schön anzusehende Modelle...
... in Originalgröße zu bieten.
Und man konnte bis an die Originale heran.
Unweit von Sucre darf ich noch eine erdgeschichtliche Sensation bewundern. Beim Abbau von Kalkstein wurden vor 20 Jahren sehr gut erhaltene Saurierspuren von vier verschiedenen Klassen entdeckt, um die man herum ein professionelles Museum errichtet hat. Die längste Spur ist dabei 250 m lang. Nach Walen und Kondoren darf ich nun auch noch neben einer Sauropodenspur stehen, den größten damals lebenden Tieren.
In Potosi erlebe ich dann wieder die Schattenseiten Boliviens. Die Stadt war im 16. Jahrhundert die reichste Stadt des amerikanischen Kontinents und hatte mehr Einwohner als Paris und Rom. Noch heute existieren sage und schreibe 36 Kirchen in der inzwischen nur noch regional bedeutenden Stadt.  Sie ist im Zentrum aber sehr gut restauriert und lädt zum Verweilen ein.
Potosi, ehemals reichste Stadt der Welt,
ist nach ihrem Niedergang inzwischen wieder hübsch anzusehen.
Auch am Abend ist Leben in der Stadt.
46.000 Tonnen Silber förderte man hier aus dem Berg Cerro Rico (reicher Berg), der die Stadt überragt und im Verlauf von vier Jahrhunderten um 200 m kleiner geworden ist, um die spanischen Schatzkammern damit zu füllen. Komplette Dorfgemeinschaften von Indios wurden in die Stollen getrieben und mussten bis zum Tode für die Spanier schuften. Heute, nachdem das Silber lange verschwunden ist, wird noch Zinn aus dem Berg geholt unter ebenfalls fast unmenschlichen Bedingungen. Dabei höre ich, dass in den Stollen immer noch Annaberger Bergrecht gilt, nachdem Experten aus dem Erzgebirge im 18. Jahrhundert hier wichtige Funktionen inne hatten.
Der nur noch 4.800 m hohe pyramidenhafte Cerro Rico überragt Potosi.
Teilweise kriechen wir auf allen Vieren in den Berg.
Dem Schutzheiligen wird Koka und Alkohol geopfert.
Ich habe die Gelegenheit das heutige Berwerk zu besuchen. Bei laufendem Betrieb darf man mit einem Führer zu einer Besichtigungstour aufbrechen. Wir klettern zwei Stunden lang in dem inzwischen wie einen Schweizer Käse durchlöcherten Berg herum. Wir atmen den gleichen Staub ein wie die Bergleute und scheinen nur vom Laufen so zu schwitzen wie sie. Es ist unerträglich heiß, stellenweise 35°C. Eine Belüftung gibt es nicht. Im Stollen treffen wir Kumpel und geben ihnen vorher gekaufte Geschenke, 70 %igen Alkohol, Kokablätter und Dynamit. Sie scheinen unseren Besuch als willkommene Abwechslung zu sehen und sich ihren Lohn mit unserem Besuch aufzubessern. Wir hören, dass die Lebenserwartung der Bergleute nicht einmal 50 Jahre beträgt. Meist rafft sie die Staublunge dahin. Der Berg ist an viele Genossenschaften verpachet die mit primitivsten Mitteln arbeiten.
So schuften die Kumpel im Inneren
Im Hintergrund zwei Brüder, 31 der eine, der andere jünger,
die sei 12 Jahren hier tätig sind.
Auch draußen sieht man nur erschöpfte Leute.
Die Regierung will die Stollen schon lange aus Sicherheitsgrund schließen, die Leute vor Ort machen aber einfach nicht mit. Es scheint nicht viel andere Arbeit in der Gegend zu geben. Zu Zeiten der Spanier wurde der Berg auch "Berg, der Menschen frisst" genannt. Ich verlasse den Stollen mit dem Gefühl, dass sich daran noch nicht viel geändert hat. Wieder etwas nachdenkliche Grüße von HW

7 Kommentare:

  1. Ich begreife nicht ,warum jede linke Regierung mit Abschaffung von Freiheit und Demokratie verbunden ist.deswegen bin ich auch gegen die Linkspartei bei uns. LG friedmar

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    1. Da habe ich dem Sozialdemokraten aber eine Steilvorlage gegeben.... Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Morales kommt aus einer biterarmen Familie und hat bereits als Kind schwer arbeiteten müssen. Ihm scheint das Leben als Präsident zu gefallen (auch ehemalige Möbeltischler und Dachdecker klebten lange an der Macht...;-) und sicher hat er Angst, dass seine Reformprojekte nicht zu Ende gebracht werden.

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  2. treffen sich drei deutschsprachige idealisten in bolivien.....den rest des witzes muß ich mir noch überlegen.
    danke, mal wieder, dass du uns vermittels blog "mitreisen" läßt, jedes stück ist hochinteressant! wie bekommst du das eigentlich ins - wundersamerweise scheinbar auch in der gottverlassensten pampa verfügbare - netz? internetcafe oder läpptopp?

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    1. Soll ich alter Spiesser etwa der dritte sein...? Netz gibt es offensichtlich durch die Flut der Satelliten fast überall. Selbst in der bolivianischen Wüste habe ich gestern an einer Holzhütte WiFi gefunden für stolze 2 EUR pro Viertelstunde. Die Hostels haben sich natürlich auch auf Touristen eingestellt und für mich ist dann wie für viele andere WiFi ein wichtiges Kriterium bei der Suche nach Quartier. Und da ich mir vor der Reise ein Tablet geleistet habe, kann ich bei langen Busfahrten immer schon vorschreiben....

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  3. Hallo Hans, es ist wahr, deine Erzählungen bringen die große weite Welt in unser kleines Heim. Ich staune immer mehr über deine Unternehmungen und deinen Mut.
    Und du zeigst uns neben den vielen wunderbaren Natureindrücken auch das Leben der dortigen Bewohner. Da wird einem wiedermal bewusst, auf welchem hohen Niveau hier gejammert wird.
    Aber lass mich auch jammern: du fehlst mittwochs, wir sind immer gerade so spielfähig. Viele Grüße Volker

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    1. Hallo Volker,
      dein Kommentar ehrt und freut mich sehr. Hab kürzlich erst an Dich und die Fussballer gedacht. Mit dem Mut ist es zwar nicht so weit her, aber man tut, was man kann. Ja, es stimmt, auch mir gehen immer wieder die Augen auf, in welchem Paradies wir in Deutschland eigentlich leben.
      Und: der Fußball fehlt mir auch, das kannst du mir glauben. Wenigstens gibt es jetzt aber niemanden bei Euch, der rummeckert, wenn die Mannschaften nicht gleichwertig sind...;-) Herzliche Grüße an alle.

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    2. Bei 3 gegen 3 kommen solche "Spielchen" gar nicht erst auf. Bin bloß froh, dass sich noch andere Enthusiasten finden. Deine Grüße richte ich gerne aus.

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