Samstag, 27. Februar 2016

Fast wie im Paradies - Südafrika

Nach zwei durchflogenen Nächten bin ich plötzlich in Afrika. Nach der Landung in Johannesburg muss ich mich sofort auf Linksverkehr einstellen. Dazu sitze ich im Auto "auf der falschen Seite" und muss mit der linken Hand schalten. Da zusätzlich noch das Navi zu bedienen ist, bin ich aufs Höchste angespannt. Und wirklich: um Haaresbreite entgehe ich einem selbst verschuldeten Unfall...
Eigentlich wollte ich die kommenden zwei Wochen mit meiner Tochter Louisa verbringen. Leider musste sie ganz kurzfristig absagen. Eine vom Morgen auf den Nachmittag verschobene Prüfung am Flugtag brachte das endgültige Aus. Aber auch andere Umstände, die sich in Zukunft aufklären werden, hätten aufgrund der Malariagefährdung für weitreichende Planänderungen gesorgt....;-)
Ich bleibe erst einmal drei Tage in Johannesburg. Meine Quartiergeber warnen mich eindringlich vor häufigen Raubüberfällen in der City. Obwohl ich solchen Warnungen meist skeptisch gegenüberstehe,  bleibe ich diesmal fürs Erste in der Vorortsiedlung und nehme meine in Argentinien und Brasilien wegen der dortigen Sommerferien unterlassenen Schulbesuche wieder auf. Diesmal liegt eine Highschool direkt vor der Haustüre, die zu 95 % von farbigen Jugendlichen besucht wird. Durch ein Missverständnis werde ich durch allerlei Verwaltungszimmer bis zum Schuldirektor geschoben. Als ich dort meine Qualifikationen vorlegen soll, klärt sich auf, dass ich nur einen Besuch abstatten möchte und keineswegs eine Arbeit suche.
Wäre fast mein neuer Arbeitsplatz geworden -
eine High School in Johannesburg
Im Biounterricht wurden gerade Sexualhormone behandelt,
ganz im Hintergrund die Lehrerin und ein Referendar
Besuch im Lehrerzimmer - solche angenehmen Sitzmöbel
hat in Sachsen maximal der Schulleiter
Die Schuluniformen sahen echt chic aus, hier eine 12. Klasse...
Ich darf dann jeweils eine Stunde Life Science (Biologie) sowie Nature Science (eine Mischung aus Physik und Chemie) hospitieren. Die Schule ist ganz passabel eingerichtet, nur sind die Sicherheitsvorkehrungen sehr hoch. Die gesamte Einrichtung ist mit laufenden Kameras bestückt, die Zimmer der Verwaltung und der Lehrer, die im Übrigen 30 Pflichtstunden und 40 Stunden Präsenzpflicht haben,  liegen hinter fest verschlossenen Eisengitter. Während der Mittagspause fällt mir auf, dass weiße Lehrer ausschließlich mit Weißen am  Tisch sitzen, und die farbigen Lehrer ihr eigenes Grüppchen bilden. Natürlich wäre das Zufall, sagt man mir, aber ich zweifele daran. Beim Gespräch mit dem dunkelhäutigen Chemielehrer wird mir müde lächelnd bestätigt, dass zwar offiziell Rassismus keinen Platz mehr in Südafrika hat, dass es im Alltag aber sicher noch viele Jahre dauern wird, bis auch die letzten Vorurteile abgebaut sind.
Auch die Lehrer hier beklagen sich über die hohe Kriminalität. 40 % der Schüler hätten schon Drogenerfahrungen und manch eine Auseinandersetzung an der Schule würde unter Hinzuziehung der Polizei beendet. Ich kann es mir kaum vorstellen, da die Schüler beim Schwatz mit mir nach dem Unterricht einen sehr sympathischen Eindruck hinterlassen.
Dann fahre ich 400 km weiter nordwestlich in den Krüger Nationalpark. Ich habe auf der Straße kein gutes Gefühl. Die Südafrikaner fahren wirklich ausgesprochen rasant. Es kommt vor, dass auf einer zweispurigen Straße drei Fahrzeuge bei Tempo 100 für einen Augenblick direkt nebeneinander stehen, zwei entgegenkommende und ein drittes überholendes, was sich zwischen die beiden quetscht. Mir stehen nicht nur einmal die Haare zu Berge. Außerdem laufen auf dem Seitenstreifen sehr häufig Fußgänger, sobald man in die Nähe einer Siedlung kommt. Jetzt kann ich mir die 14.000 Verkehrstoten, die Südafrika jährlich zu beklagen hat, sehr gut vorstellen.
Zum Einstieg: brünftige Impalas
Obwohl der Bulle sich an die Geschwindigkeit hält,
 lege ich vorsichtshalber den Rückwärtsgang ein....
...und lasse ihn an einer Schluppe an mir vorbei laufen.
Es geht Schlag auf Schlag, Tiere ohne Ende...
Am nächsten Tag bin ich dann im Nationalpark. Es ist plötzlich alles wie im Traum und ich habe das Gefühl, im Paradies gelandet zu sein. Bei strahlendem Sonnenschein rolle ich auf dem Fahrweg entlang und werde fast minütlich mit Tiersichtungen beschenkt. Sind es am Anfang "nur" Antilopen und Impalas, so kommt mir plötzlich ein großer Elefantenbulle auf der Fahrbahn entgegen und lässt mich ehrfürchtig den Rückwärtsgang einlegen. Später treffe ich auf mehrere Zebras, die wirklich so aussehen, wie ich sie als kleiner Junge in meinem Tierquartett immer wieder angeschaut habe. Lange schaue ich einer großen Paviansippe zu, die auf Nahrungssuche ist und einige kleine Babys zwischen sich herumtollen lässt.
Mein erstes Zebra, hunderte werden noch folgen...
Ein Teil der Paviansippe
Auch das Trinken muss manchmal erkämpft werden.
Der Oberboss scheint nicht der freundlichste zu sein....
Als ich dann den Weg einer etwa zehnköpfigen Giraffengruppe kreuze, steht mir schier das Wasser in den Augen. Sie knabbern friedlich an den Blättern der hochgewachsenen Bäume, beäugen mich aber sehr genau und prüfen, was ich beabsichtige zu tun. Ich bleibe einfach eine halbe Stunde stehen und sehe ihnen staunend zu. Kein anderes Fahrzeug stört meine Andacht, da ich mich gleich zu Beginn abseits der häufig befahrenen Routen bewege.
In Würde überquert das stattliche Exemplar die Straße.
Das Futter wächst schier in den Mund...,
...nur das Trinken ist nicht ganz so einfach.
Was wird sie wohl über mich denken?
Der wichtigste Regel für den Nationalpark, das Auto unter keinen Umständen verlassen, muss ich natürlich nachkommen. Das heißt, viele Stunden im Auto sitzen und auch zum Essen und zur nötigen Mittagsruhe immer im Schutzraum bleiben. Ich könnte zwar eines der Camps ansteuern, in denen man hinter elektrischem Drahtverhau übernachten, aber auch das Restaurant besuchen kann, doch ich habe ständig das Gefühl, ich könnte etwas verpassen, wenn ich jetzt dem Paradies den Rücken zukehre. So fahre ich wie elektrisiert fast 200 km bis zum Abend durch den Park und kann mich nicht sattsehen. In der Mittagshitze kann ich nur ein paar badende Flusspferde entdecken, am späten Nachmittag kommt dann aber wieder Bewegung in das Buschland.
Relativ selten sieht man solche Prachtexemplare.
Lange beobachte ich diesen Käfer. Er schneidet sich aus frischem
Elefantenkot eine Kugel und rollt sie Dutzende Meter die Straße
entlang. Er heißt Heiliger Pillendreher. Die Kotkugel wird
vergraben und dient als Futterquelle für die Larven.
Einen herrliche Symbiose - auf vielen Tieren sitzen Vögel,....
...die sich vom Ungeziefer ernähren.
Ich beobachte eine große Elefantenherde mit vielleicht 25 Tieren, die sich genüsslich am Wasser bedienen. Büffel und Gnus kreuzen meinen Weg, immer wieder laufen neue Zebras und Giraffen durch den Busch, ganz zu schweigen von den vielen verschiedenen, bunten, großen und kleinen Vogelarten, die ich alle nicht mit Namen benennen kann.
Ist es Müdigkeit oder Langeweile?
Die Sippe wandert zum Abendtrunk...,
...der an der Wasserstelle eingenommen wird
Gnus durchziehen die Steppe....
Bis Toresschluss kann ich mich nicht von diesem "Garten Eden" trennen, hier bleibe ich noch viele Tage heißt mein klarer Vorsatz und am Abend falle ich in einen traumreichen Schlaf in meiner mit Moskitonetz gut geschützen Schlafstatt. Was ich mit Löwen, Nashörnern und Schwarzer Mamba erlebt habe, das hebe ich mir für später auf, es wird Zeit, wieder herzlich zu grüßen: Euer gerade sehr glücklicher HW.
Das Leben macht offensichtlich Spaß...,
...es gibt vieles zu entdecken...,
...und einiges muss genauer untersucht werden.

Samstag, 20. Februar 2016

Wolkenkratzer und Favelas - von Rio nach Sao Paulo

Ob es eine schöner gelegene Stadt als Rio de Janeiro gibt? Ich kann es kaum glauben. Rio zerfliest förmlich in eine mit zahlreichen Buchten reich gegliederte Küste. Die bis zu 800 m hohen Berge sind mit sattgrünen Wäldern bewachsen, die weit bis in die Siedlungen hineinragen. Die Größe der Stadt ist gar nicht so leicht zu überschauen, weil der Blick auch von Zuckerhut und Christusstatue nur bis zum nächsten Berghang reicht oder im sich mit vorgelagerten Inseln lieblich anzuschauenden Atlantik verliert. Der Sandstrand ist richtiggehend goldgelb und fühlt sich weich an, die angenehm temperierte Wassertemperatur lädt augenblicklich zum Baden ein, nur die scheinbar blaue bei genauem Hinsehen aber braungrüne Farbe des Wassers passt irgendwie nicht richtig dazu.
Fährüberfahrt nach Rio
Stadt, Berge und Wasser in perfekter Harmonie
Auf den Zuckerhut kommt man nur per Seilbahn
Die gar nicht so große Christusstatue lugt ständig hervor
Blick von der Christusstatue zum wolkenverhüllten Zuckerhut
Ich habe fünf Tage Zeit, um mir Rio näher anzuschauen. Ich verbringe sie häufig mit Eshan, den ich in Iguazu kennengelernt habe und mit dem ich hier ein Zimmer teile. Sein Vater musste als Professor und linker Filmschaffender  während der iranischen Revolution nach Deutschland fliehen. Wir sprechen viel über die internationale Politik und es ist für mich erhellend, die Welt und unsere westliche Anspruchshaltung einmal mit den Augen eines nicht religiösen Iraners zu sehen.
Die obligatorischen Besuche dann auf dem Zuckerhut und der Christusstatue zeigen Rios ganze Schönheit. Die legendäre Copacabana ist tagsüber natürlich übervoll. Dass hier nur die Reichen und Schönen flanieren, kann ich nicht ausmachen. Es ist der normale Durchschnitt der Bevölkerung, angereichert mit einigen Touristen. Auffällig ist nur, dass der Stringtanga für alle weiblichen Altersklassen so gut wie Pflicht ist. Dies ist dann nicht immer nur ein rundum ästhetischer Anblick.
Escaderia Seleron - die berühmte Fliesentreppe als Touristenmagnet
Wer möchte hier noch baden? Ipanema-Strand am Nachmittag
Es geht aber auch anders - Copacabana am Morgen
Thront segnend über der Stadt
Noch einmal kann ich eine Favela besuchen. Jetzt aber brauche ich keine Angst wie in Lima zu haben. Eine Agentur hat die Tour nach Rocinha, der größten Favela Südamerikas, vermittelt. Wir treffen uns mit Edson, der dort selbst groß geworden ist und uns jetzt mit Insiderwissen versorgt. Der fehlende Zugriff der Staatsmacht als Hauptmerkmal einer brasilianischen Favela wird durch das Vorhandensein einer in mafiösen Strukturen gegliederten Schutzmacht wettgemacht. Die touristische Führung mit Edson ist ausdrücklich von der Mafia abgesegnet. Warum soll man Geld nicht auch mit legalen Mitteln verdienen?
In der Favela leben in der Regel arme, aber keineswegs mittellose Leute, die meist einer geregelten Arbeit nachgehen. Nur reicht das verdiente Geld nicht, um sich eine bessere Wohnung zu leisten. Man kann sich eine Wohnung vom Vorbesitzer kaufen oder mietet sich bei moderaten Preisen ein. Gemeinsam ist allen Bewohnern, dass sie zwar Wasser und Strom nutzen, aber nicht dafür bezahlen. Der Staat muss dies gezwungenermaßen dulden. Würde der Strom abgeschaltet, wären am nächsten Tag Hunderttausende am Demonstrieren. Dafür gibt es aber keine Wartung der Versorgung. Ich habe in Südamerika schon viel "Kabelsalat" gesehen. Hier hat das aber eine ganz andere Dimension. Irgendwie zweigt irgendwer von irgendwem etwas Strom ab. Beim Wasser wird mit großen Behältern auf Vorrat gearbeitet. Wenn gerade Wasser da ist, werden große Fässer auf dem Dach aufgefüllt, die dann nach und nach entleert werden. Müll landet in Kanälen, die sich den Hang hinabziehen. Sie werden bei Regenfällen immer wieder leer gespült.
Rocinha - hier leben geschätzte 200.000 Menschen auf engstem Raum
Edson zeigt uns den herrlichen Blick auf Strand und Reichenviertel
 vom höchsten Punkt des Favelas.
Die Randgebiete sehen noch relativ anständig aus
Beim Laufen durch die äußerst engen und selbst zur Mittagszeit dunklen Gassen kann man schier nicht glauben, dass hier Menschen wohnen sollen. Wir kriechen förmlich durch entsetzliche Winkel. "Dogshit" wäre das größte Problem, meint Edson, als er uns zum wiederholten Male darauf aufmrksam macht, nicht in einen Haufen zu treten. Überall stinkt es, es wundert mich nur, dass keine Ratten zu sehen sind. Trotzdem stelle ich eine echte Herzlichkeit zwischen den Leuten fest. Edson kennt fast jeden und schwatzt kurz mit ihm. Die Häuser sind eigentlich alles nur zusammengeflickte Ruinen.Wenn man jedoch in die winzigen Behausungen selbst hineinschaut, sieht man in der Regel recht ordentlich eingerichtete Miniwohnungen. Es sind offensichtlich ganz normale Menschen, denen nur das Geld für eine bessere Wohnqualität fehlt.
Stromabzweigen ist Pflicht - die Wartung aber Horror
Durch engste Gassen geht es nach unten
Müllabfuhr und Abwasser sind nicht getrennt
Und trotzdem versucht jeder, es sich wenigstens
ein ganz klein wenig schön zu machen
Was wird aus ihnen einmal werden? 
Am Rande des Favelas gibt es ganz normal aussehende Straßen mit Läden, einer Bank, Fitness-Studios, sogar ein Sexshop taucht auf. Überfälle auf die Geschäfte gibt es keine. Die schützende Mafia ist dort gnadenlos. Die Mordrate liegt 60 fach über dem deutschen Durchschnitt und die Aufklärungsrate nur bei winzigen 1 %.
Edson erzählt von mehrfachen Versuchen der Staatsmacht, Kontrolle über die Favelas zu bekommen. Dann geht es zu wie im Krieg. Sie kommen mit Maschinenpistolen und schießen teilweise ohne Vorwarnung, die Favelamiliz feuert entsprechend zurück. Zwei Freunde hat er dabei schon verloren. Am Ende führt er uns zu ein paar jungen Männern, die für die Touristen eine kleine Samba-Breakdance-Show vorführen. Wieder und wieder drängt sich bei mir das Gefühl auf: Mensch, haben es meine Kinder und unsere Jugendlichen doch gut.
Endlich wieder ein Nationalpark...
...mit vielen nahen Verwandten.
Freibad auf brasilianisch
5 Tage Rio sind dann aber absolut genug. Auf der Fahrt nach Sao Paulo, wo mein bereits gebuchter Flug nach Afrika auf mich wartet, besuche ich noch den ältesten Nationalpark Brasiliens in Itataiai. Endlich bin ich wieder im südamerikanischen Regenwald. Die typischen Geräusche der Insekten und Vögel, der erdige Duft des Waldbodens oder das Baden im Wasserfall lassen schon so etwas wie heimatliche Gefühle bei mir aufkommen und ich wandere fast ziellos durch das ganz anders laute aber herrlich klingende und duftende Gebiet.
In Sao Paulo finde ich dann wirklich eine der größten Metropolregionen der Welt vor. Angeblich 20 Millionen Menschen sollen hier leben, wovon sich ein Viertel etwa in den Favelas aufhalten. In der rush-hour kann man sich in der U-Bahn nur noch im Menschenstrom mitfließen lassen. Die Stadt selbst besteht in der City fast nur aus Hochhäusern, hat aber wieder von der Architektur her Hochmodernes zu bieten.
Eine der größten Kathedralen Südamerikas in Sao Paulo
Die City besteht fast nur aus Hochhäusern
Das Hotel Unique, entworfen von Thomie Onthake
ein weiterer brasilianischer Stararchitekt
Was bleibt von Brasilien? Größer und bevölkerungsreicher als der Rest Südamerikas mit einer beeindruckenden Infrastruktur aber auch dem typischen Wohlstandsgefälle fühle ich, dass ich viel zu kurz hier bin, um mehr als einen ersten Eindruck erhalten zu haben. Für den Amazonasregenwald war die Zeit zu kurz, die tierreiche Parana-Ebene war gerade völlig überflutet, so dass ich mich nur in den dicht besiedelteren Regionen aufhalten konnte. Trotz aller sprachlichen Probleme gab es eine einzige erfreuliche Ausnahme: Sobald ein Brasilianer mitbekam, dass ich aus "Alemanha" kam, setzte typischerweise ein langgezogener Seufzer oder ein ins Lachen übergehender Schmerzensruf ein: "seven, one". Die zwei Zahlen reichten aus, um mir ein ebenfalls lachendes "Sorry" zu entlocken. So einfach können sich Fußballerherzen verstehen.
Inzwischen bin ich schon in Afrika, aber davon später. Es grüßt wie immer herzlich HW
Und noch ein Traum in Erfüllung gegangen: HW in Rio