Samstag, 6. Februar 2016

Argentinischer Tango - von Buenos Aires nach Iguazu

Sich Argentinien in kurzer Zeit erschließen zu wollen, ist eine Illusion. Achtmal so groß wie Deutschland mit einer Nord-Süd-Ausdehnung wie die Strecke von Portugal zum Ural, hat es jedoch nur die Hälfte der Einwohner Deutschlands. Argentinien scheint das europäischste der südamerikanischen Länder zu sein. Vom indigenen Einfluss sieht man kaum etwas. Man fühlt sich in etwa wie in Italien oder Spanien. Wir haben hier keine weiteren großen Reisen geplant, wollen nur noch etwas Zeit mit Josefina und ihrer Familie verbringen.
Nach unserem Strandurlaub kehren wir also zurück in die Universitätsstadt La Plata und besuchen mit ihr gemeinsam Buenos Aires. Doppelt so groß wie Santiago und im Großraum ein Viertel der gesamten argentinischen Bevölkerung beherbergend, staunen wir ein wenig, weil wir eine echte Weltstadt vorfinden. Wir können uns bei unserem Besuch nur auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten beschränken und gehen zunächst nach La Boca, wo zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Tango entstanden ist.
La Boca, ein alter armer Stadtteil, jetzt schön herausgeputzt
Die Geburtsstätte des Tangos wird gebührend verehrt.
Zwei Große für das argentinische Volk, beide einträchtig
nebeneinander, so unterschiedlich sie auch sind
Es geht gemütlich zu in La Boca....
Der Stadtteil kommt bei uns mit seiner Farbigkeit sehr gut an, natürlich sehen wir in den zahlreichen Kneipen immer wieder showtanzende Tangotänzer, die ihrer Arbeit mit nicht allzu großer Freude nachzugehen scheinen. Bei fast 40 °C im Schatten wundert dies aber nicht. An vielen Ecken stehen Papp-Maradonas oder Maradona-Doubles, die auf Fotokundschaft warten, auch Papst Franziskus muss zur Geschäftsankurbelung herhalten. Ihn scheinen die Argentinier aber ausgesprochen zu verehren. Es gibt inzwischen zahlreiche Geschichten von seiner sprichwörtlichen Einfachheit, von denen wir einige zu hören bekommen.
Puerto Madero, ein ganz neuer Stadtteil im ehemaligen Hafenviertel erinnert stark an London, Wolkenkratzer drängen sich auf engstem Raum, die Flaniermeilen sind mit teuren Geschäften bestückt und wirken etwas steril. Auf dem Hauptplatz Plaza de Mayo im eigentlichen Zentrum entdecken wir den Demonstrationsort der Mütter und Großmütter, die seit fast 40 Jahren jeden Donnerstag stumm für 30 Minuten im Kreis laufend für Nachforschungen zum Verbleib ihrer Kinder und Enkelkindern demonstrieren, die während der sieben Jahre andauernden Militärdiktatur verschwunden sind. In Argentinien hat es mit etwa 30.000 Opfern zehnmal so viele Tote wie in Chile gegeben, nur ist diese Zeit in Deutschland nicht ganz so bekannt. Sie endete aber genauso friedlich mit Massenprotesten nach der Niederlage im Falklandkrieg und der Abdankung der Generäle. An der Aufarbeitung der Verbrechen scheint aber immer noch gearbeitet zu werden.

Aus ehemaligen Speichergebäuden einen neuen
 Stadtteil hingezaubert - Puerto Madero
Der ständig heiß umkämpfte Präsidentenpalast,
im Dezember gab es den letzten Wechsel

Das Kopftuch ist das Symbol der kämpfenden Mütter und Großmütter
In Argentinien gibt es häufig richtige Bauwerke
als Grabstätten, hier das vielbesuchte Grab von Evita.
Neben dem Papst wird aber auch noch Eva Perón ausgesprochen verehrt. Als Frau des nationalistischen Präsidenten Juan Peron hatte sie sich seinerseits massiv und erfolgreich für die arme Bevölkerung und die Rechte der Frauen eingesetzt, war also national-sozialistisch im besten Sinne des Wortes. Ihr früher Tod an Gebärmutterhalskrebs und ihre wohl ausgesprochene Schönheit haben zur Legendenbildung "Evitas" beigetragen. Ihr Grab auf dem Friedhof in Buenos Aires wird auch von Touristen aus aller Welt besucht.
Anschließend fahren wir weiter nach Bragado, dem Heimatort von Josefina etwa 300 km westlich von Buenos Aires liegend. Wir fahren wieder durch die sagenumwobene Pampa, eine tischebene Landschaft, auf der zum großen Teil Viehzucht betrieben wird. In Bragado begegnet uns wie in Chile eine Familie, die uns aufs Herzlichste aufnimmt. Wir schauen uns mit sachkundiger Führung von Mutter und Großvater die Sehenswürdigkeiten der Stadt an und können auch hier wieder alle unsere Fragen zu Politik und Geschichte loswerden. Es ist bezeichnend, wie politisiert die Menschen im Lande sind. Für sie gibt es eine gravierende Abhängigkeit der Lebenshaltungskosten von der aktuellen politischen Lage. Während wir in Deutschland seit Jahrzehnten unabhängig von der aktuellen Regierung ein gutes Auskommen haben, scheint hier der Kampf gegen die Inflation die höchste Prioritat zu haben. Bei jährlichen Inflationsraten von über 10 bis 20 %, kommen die Einkommen nie gegen die steigenden Preise an. Für die Mutter von Josefina ist ein Urlaub am Meer  zur Zeit überhaupt nicht denkbar. Das Geld reicht gerade so, um jeden Monat irgendwie über die Runden zu kommen.
Ein Anfang des 20. Jahrhunderts weltbekannter Tenor
hat Bragado ein imposantes Theater zum Geschenk gemacht.
Großvater Giannino erläutert uns gemeinsam mit der Intendantin
 alle Zusammenhänge, im Hintergrund schaut Evita zu....
Gut ausgestattet, aber meist mit dem Geld der Ärzte -
ein argentinisches Kleinstadtkrankenhaus.
Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch -
Onkel Sebastian ist Meister in der Asado-Zubereitung.
Meister im Umgang mit den Medien ist Josefina - sie redet und
übersetzt, alles ganz natürlich und ungezwungen und spricht dazu
nach fünf Jahren Heimat immer noch ein exzellentes Deutsch.
Argentinisch-Deutsche Freundschaftsbeziehungen
Die linksgerichtete Regierung unter Präsidentin Kirchner wurde kürzlich abgewählt. Sie hatte zahlreiche Sozialleistungen durchgedrückt, die aber die Mittelschicht ungeheuer belastet haben. Mit einem autoritären Regierungsstil und einem viel zu geringen Wirtschaftswachstum hat sie das Land in zwei Lager gespalten, wobei die Hoffnungen jetzt auf einem konservativen neuen Präsidenten ruhen, der kürzlich erst dem Fußballverein Boca Juniors zu neuer wirtschaftlicher Stabilität verholfen hat. Es ist in etwa so, wie wenn sich in Deutschland Karl-Heinz Rummenigge als Bundeskanzler beweisen möchte. Drücken wir den argentinischen Menschen die Daumen....
Wir besuchen die Klinik des Großvaters, wo sich insbesondere Ramona über die Verhältnisse des argentinischen Gesundheitswesens informiert. Wir werden zum großen Asado-Essen eingeladen, was unsere Bäuche fast über Gebühr strapaziert. Auch die lokale Presse und das Regionalfernsehen besuchen uns, um die Leser und Zuschauer über den internationalen Schüleraustausch und die seltenen deutschen Gäste zu informieren. Immer geht es ausgesprochen herzlich zu. Wir müssen uns erst daran gewöhnen, dass man sich zur Begrüßung immer leicht auf die Wange küsst, selbst bei Männern untereinander ist das nichts Unübliches. Berührungen haben in Argentinien nichts Anzügliches, sie sind einfach ein Teil der Beziehungskultur.
Nach zwei voll gestopften Tagen müssen wir aber weiter reisen und haben neue Freunde gewonnen.
Ein letzter Tee und dann zurück ins kalte Deutschland
Nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gigantischen Wasserfall
Die Gischt schäumt, so dass man kaum Fotos machen kann
Letztendlich werde ich auch noch mit Sonne beschenkt.
Dann startet Ramona endgültig in die Heimat und ich gönne mir, wieder in den Abenteuermodus schaltend, als letzten Höhepunkt in Argentinien den Iguazu-Wasserfall. Viel Worte kann man zum je nach Sichtweise größten Wasserfall der Erde nicht sagen. Der Mund bleibt einem offen stehen, wen man die ganze Dimension des 2,7 km breiten und in 255 Einzelfällen unterteilen Giganten überblickt. Die Zugangsbedingungen sind optimal. Man kann auf argentinischer Seite über Stege bis unmittelbar an das ohrenbetäubend rauschende Wasser herangehen. Wenn man dazu das Glück eines sonnigen Tages hat, erstrahlen über dem sprühenden Nebel zahlreiche Regenbögen, auch ästhetisch ein wahrlich beeindruckendes Erlebnis. Es grüßt herzlich der jetzt wieder allein reisende HW

6 Kommentare:

  1. Friedmar Sonntag6. Februar 2016 um 12:44

    Bockstark dieser Wasserfall, ich weiß gar nicht wo der genau liegt. LG fried

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  2. Im Dreiländereck Argentinien, Brasilien, Paraguay....

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  3. Genieße die Zeit bei deinen Freunden. Ist schön zu lesen, das sich Menschen auf der ganzen Welt gut verstehen können. Wann wechselst du eigentlich den Kontinent? Durch meine Vergangenheit hab ich besonderes Interesse an Afrika!

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    1. Bald, bald..., habe dabei aber vorher noch die Hürde Flug mit Ethiopian Airlines Sao Paulo - Addis Abeba - Johannesburg in 21 Stunden zu überwinden, da werd ich noch ein Pillchen brauchen... HW

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    2. Ethioian Airlines gilt als eine der besten Fluggesellschaften. Also genieß es.

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    3. Wenn du Flugexperte das sagst, dann wird es wohl stimmen...

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