Samstag, 20. Februar 2016

Wolkenkratzer und Favelas - von Rio nach Sao Paulo

Ob es eine schöner gelegene Stadt als Rio de Janeiro gibt? Ich kann es kaum glauben. Rio zerfliest förmlich in eine mit zahlreichen Buchten reich gegliederte Küste. Die bis zu 800 m hohen Berge sind mit sattgrünen Wäldern bewachsen, die weit bis in die Siedlungen hineinragen. Die Größe der Stadt ist gar nicht so leicht zu überschauen, weil der Blick auch von Zuckerhut und Christusstatue nur bis zum nächsten Berghang reicht oder im sich mit vorgelagerten Inseln lieblich anzuschauenden Atlantik verliert. Der Sandstrand ist richtiggehend goldgelb und fühlt sich weich an, die angenehm temperierte Wassertemperatur lädt augenblicklich zum Baden ein, nur die scheinbar blaue bei genauem Hinsehen aber braungrüne Farbe des Wassers passt irgendwie nicht richtig dazu.
Fährüberfahrt nach Rio
Stadt, Berge und Wasser in perfekter Harmonie
Auf den Zuckerhut kommt man nur per Seilbahn
Die gar nicht so große Christusstatue lugt ständig hervor
Blick von der Christusstatue zum wolkenverhüllten Zuckerhut
Ich habe fünf Tage Zeit, um mir Rio näher anzuschauen. Ich verbringe sie häufig mit Eshan, den ich in Iguazu kennengelernt habe und mit dem ich hier ein Zimmer teile. Sein Vater musste als Professor und linker Filmschaffender  während der iranischen Revolution nach Deutschland fliehen. Wir sprechen viel über die internationale Politik und es ist für mich erhellend, die Welt und unsere westliche Anspruchshaltung einmal mit den Augen eines nicht religiösen Iraners zu sehen.
Die obligatorischen Besuche dann auf dem Zuckerhut und der Christusstatue zeigen Rios ganze Schönheit. Die legendäre Copacabana ist tagsüber natürlich übervoll. Dass hier nur die Reichen und Schönen flanieren, kann ich nicht ausmachen. Es ist der normale Durchschnitt der Bevölkerung, angereichert mit einigen Touristen. Auffällig ist nur, dass der Stringtanga für alle weiblichen Altersklassen so gut wie Pflicht ist. Dies ist dann nicht immer nur ein rundum ästhetischer Anblick.
Escaderia Seleron - die berühmte Fliesentreppe als Touristenmagnet
Wer möchte hier noch baden? Ipanema-Strand am Nachmittag
Es geht aber auch anders - Copacabana am Morgen
Thront segnend über der Stadt
Noch einmal kann ich eine Favela besuchen. Jetzt aber brauche ich keine Angst wie in Lima zu haben. Eine Agentur hat die Tour nach Rocinha, der größten Favela Südamerikas, vermittelt. Wir treffen uns mit Edson, der dort selbst groß geworden ist und uns jetzt mit Insiderwissen versorgt. Der fehlende Zugriff der Staatsmacht als Hauptmerkmal einer brasilianischen Favela wird durch das Vorhandensein einer in mafiösen Strukturen gegliederten Schutzmacht wettgemacht. Die touristische Führung mit Edson ist ausdrücklich von der Mafia abgesegnet. Warum soll man Geld nicht auch mit legalen Mitteln verdienen?
In der Favela leben in der Regel arme, aber keineswegs mittellose Leute, die meist einer geregelten Arbeit nachgehen. Nur reicht das verdiente Geld nicht, um sich eine bessere Wohnung zu leisten. Man kann sich eine Wohnung vom Vorbesitzer kaufen oder mietet sich bei moderaten Preisen ein. Gemeinsam ist allen Bewohnern, dass sie zwar Wasser und Strom nutzen, aber nicht dafür bezahlen. Der Staat muss dies gezwungenermaßen dulden. Würde der Strom abgeschaltet, wären am nächsten Tag Hunderttausende am Demonstrieren. Dafür gibt es aber keine Wartung der Versorgung. Ich habe in Südamerika schon viel "Kabelsalat" gesehen. Hier hat das aber eine ganz andere Dimension. Irgendwie zweigt irgendwer von irgendwem etwas Strom ab. Beim Wasser wird mit großen Behältern auf Vorrat gearbeitet. Wenn gerade Wasser da ist, werden große Fässer auf dem Dach aufgefüllt, die dann nach und nach entleert werden. Müll landet in Kanälen, die sich den Hang hinabziehen. Sie werden bei Regenfällen immer wieder leer gespült.
Rocinha - hier leben geschätzte 200.000 Menschen auf engstem Raum
Edson zeigt uns den herrlichen Blick auf Strand und Reichenviertel
 vom höchsten Punkt des Favelas.
Die Randgebiete sehen noch relativ anständig aus
Beim Laufen durch die äußerst engen und selbst zur Mittagszeit dunklen Gassen kann man schier nicht glauben, dass hier Menschen wohnen sollen. Wir kriechen förmlich durch entsetzliche Winkel. "Dogshit" wäre das größte Problem, meint Edson, als er uns zum wiederholten Male darauf aufmrksam macht, nicht in einen Haufen zu treten. Überall stinkt es, es wundert mich nur, dass keine Ratten zu sehen sind. Trotzdem stelle ich eine echte Herzlichkeit zwischen den Leuten fest. Edson kennt fast jeden und schwatzt kurz mit ihm. Die Häuser sind eigentlich alles nur zusammengeflickte Ruinen.Wenn man jedoch in die winzigen Behausungen selbst hineinschaut, sieht man in der Regel recht ordentlich eingerichtete Miniwohnungen. Es sind offensichtlich ganz normale Menschen, denen nur das Geld für eine bessere Wohnqualität fehlt.
Stromabzweigen ist Pflicht - die Wartung aber Horror
Durch engste Gassen geht es nach unten
Müllabfuhr und Abwasser sind nicht getrennt
Und trotzdem versucht jeder, es sich wenigstens
ein ganz klein wenig schön zu machen
Was wird aus ihnen einmal werden? 
Am Rande des Favelas gibt es ganz normal aussehende Straßen mit Läden, einer Bank, Fitness-Studios, sogar ein Sexshop taucht auf. Überfälle auf die Geschäfte gibt es keine. Die schützende Mafia ist dort gnadenlos. Die Mordrate liegt 60 fach über dem deutschen Durchschnitt und die Aufklärungsrate nur bei winzigen 1 %.
Edson erzählt von mehrfachen Versuchen der Staatsmacht, Kontrolle über die Favelas zu bekommen. Dann geht es zu wie im Krieg. Sie kommen mit Maschinenpistolen und schießen teilweise ohne Vorwarnung, die Favelamiliz feuert entsprechend zurück. Zwei Freunde hat er dabei schon verloren. Am Ende führt er uns zu ein paar jungen Männern, die für die Touristen eine kleine Samba-Breakdance-Show vorführen. Wieder und wieder drängt sich bei mir das Gefühl auf: Mensch, haben es meine Kinder und unsere Jugendlichen doch gut.
Endlich wieder ein Nationalpark...
...mit vielen nahen Verwandten.
Freibad auf brasilianisch
5 Tage Rio sind dann aber absolut genug. Auf der Fahrt nach Sao Paulo, wo mein bereits gebuchter Flug nach Afrika auf mich wartet, besuche ich noch den ältesten Nationalpark Brasiliens in Itataiai. Endlich bin ich wieder im südamerikanischen Regenwald. Die typischen Geräusche der Insekten und Vögel, der erdige Duft des Waldbodens oder das Baden im Wasserfall lassen schon so etwas wie heimatliche Gefühle bei mir aufkommen und ich wandere fast ziellos durch das ganz anders laute aber herrlich klingende und duftende Gebiet.
In Sao Paulo finde ich dann wirklich eine der größten Metropolregionen der Welt vor. Angeblich 20 Millionen Menschen sollen hier leben, wovon sich ein Viertel etwa in den Favelas aufhalten. In der rush-hour kann man sich in der U-Bahn nur noch im Menschenstrom mitfließen lassen. Die Stadt selbst besteht in der City fast nur aus Hochhäusern, hat aber wieder von der Architektur her Hochmodernes zu bieten.
Eine der größten Kathedralen Südamerikas in Sao Paulo
Die City besteht fast nur aus Hochhäusern
Das Hotel Unique, entworfen von Thomie Onthake
ein weiterer brasilianischer Stararchitekt
Was bleibt von Brasilien? Größer und bevölkerungsreicher als der Rest Südamerikas mit einer beeindruckenden Infrastruktur aber auch dem typischen Wohlstandsgefälle fühle ich, dass ich viel zu kurz hier bin, um mehr als einen ersten Eindruck erhalten zu haben. Für den Amazonasregenwald war die Zeit zu kurz, die tierreiche Parana-Ebene war gerade völlig überflutet, so dass ich mich nur in den dicht besiedelteren Regionen aufhalten konnte. Trotz aller sprachlichen Probleme gab es eine einzige erfreuliche Ausnahme: Sobald ein Brasilianer mitbekam, dass ich aus "Alemanha" kam, setzte typischerweise ein langgezogener Seufzer oder ein ins Lachen übergehender Schmerzensruf ein: "seven, one". Die zwei Zahlen reichten aus, um mir ein ebenfalls lachendes "Sorry" zu entlocken. So einfach können sich Fußballerherzen verstehen.
Inzwischen bin ich schon in Afrika, aber davon später. Es grüßt wie immer herzlich HW
Und noch ein Traum in Erfüllung gegangen: HW in Rio

7 Kommentare:

  1. Hätte nicht gedacht, dass Rio So traumhaft ist und dann noch das 7:1 im Gepäck. Den Atlantikflug hast Du ja offensichtlich gut überstanden .bald kommt "Big brother"LG friedmar

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    1. Mit uns wird es ja nun wohl nichts? Habe jetzt meinen Rückflug gebucht....

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    2. Vielleicht geht noch was,wenn du wieder da bist,hast ja noch bis Sommer frei. LG friedmar

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  2. Android und Worterkennung scheinen einander auszuschließen. Tipps auch gerade auf so einem Ding rum und beginne dich zu verstehen. Fitnisstudio und Aufklärungskräfte ;-) Angeblich kann man mit einer APP namens UDM Worttabellen importieren, ich habe aber noch keinen Plan, wie.
    In Berlin rund um die Rigaer Strasse entwickeln sich auch Favelaartige Zustände, zumindest was die rechtliche Seite angeht.

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    1. Danke fürs Korrekturlesen, die APP brauche ich nicht mehr, wenn ich zu Hause bin, lass ich Android Android sein und gehe wieder an meinen PC....

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  3. HW zu Hause??? Schreib mal eine Mail, wenn du willst, was der Grund ist!
    Schade, hätte mich auf Afrika - Berichte sehr gefreut...
    Grüsse Steffen

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  4. Nein, nein, das ist ein Missverständnis. Buchen heist nur: das Ende kommt in Sicht. Noch habe ich 7 Wochen vor mir und gerade habe ich Flusspferd und Krokodil beobachtend ein Frühstück in Südafrika eingenommen.... Der erste Afrika-Blog ist schon in Arbeit. Immer noch bester Dinge und auf Tour HW

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