Samstag, 30. Januar 2016

Atlantik und kreative Impressionen Teil 2

In Argentinien wartet auf uns unsere zweite Gasttochter Josefina. Sie ist inzwischen 23 Jahre alt und studiert Ingenieurtechnik. Sie hat ein ganzes Jahr in unserer Familie in Pirna zugebracht und wir haben zu ihr dadurch eine echt gute Beziehung bekommen. Wir treffen sie in ihrer Studienstadt La Plata und reisen gemeinsam mit ihr an die Atlantikküste nach Mar Azul. Josefina erzählt uns einiges über die Tücken des Studierens in Argentinien. Einen staatlich geförderten Kredit wie in Deutschland gibt es hier nicht. Entweder man bringt das Geld für die Studienkosten und die Lebenshaltung auf oder man kann eben nicht studieren. Viele Studenten scheitern noch weit vor ihrem Abschluss meistens am fehlenden Geld. Sie selbst ist auf die Hilfe des Großvaters angewiesen, der als Arzt mit eigener kleiner Klinik offensichtlich ausreichend verdient. Ihre Eltern wären dazu nicht in der Lage. Sie beklagt beispielsweise die jährlich um etwa 30 Prozent steigende Miete ihrer kleinen Wohnung, die sie sich mit ihrer Schwester teilt.
Beim Überflug der Anden lässt der Pilot die Maschine nach unten sacken,
angeblich wegen der herrlichen Berge, ich bekam schweißige Hände...
Das Wiedersehen wird mit einem zünftigen Bier gefeiert.
Einer der größten Kirchen Argentiniens in La Plata,
als Vorbild diente der Kölner Dom.
Aus dem einwöchigen gemeinsamen Urlaub wird aber leider nichts. Josefina hat kurzfristig einen gut bezahlten  Ferienjob bei einem hochdotierten argentinischen Unternehmen bekommen, den sie mit großer Freude angetreten hat. So bleiben wir eine Woche lang ganz für uns und genießen das argentinische Strandleben. Wir lassen uns einen dreihundert Meter breiten gepflegten Strand bei herrlichem Sonnenwetter und täglicher Wellengarantie gefallen. Obwohl in Argentinien Hochsaison herrscht, sind die Leute am Strand überschaubar und es bleibt genug Platz für sportliche Betätigung. Beim täglichen Strandfussball bekomme ich den Spitznamen "Aleman", der aber auch etwas nach "alter Mann" klingt. Berührungsängste gibt es kaum, nur haben die Argentinier die beiden letzten wichtigen Niederlagen gegen die Deutschen noch nicht so richtig verdaut.
Bei Gaby und Roby genießen wir eine Woche Strandurlaub.
Ein riesiger Sandstrand....
...und feine Wellen lassen nach all den Abenteuern Erholung zu.
Wie immer: HW beim Fußball. Man beachte Julia (knieend, zweite von rechts),
  mit 15 Jahren bereits U17 Nationalspielerin, sie steckte alle männlichen
Mitspieler mit grandioser Technik und Durchsetzungsvermögen in den Sack.
Meine Prognose: bei der nächsten WM im Aufgebot.
Wir haben aber auch genügend Zeit, die unheimlich vielen Eindrücke der letzten Wochen zu verarbeiten und unsere Fotos zu sortieren. Deshalb übernimmt Ramona noch einmal:

Im Teil 2 der kreativen Impressionen soll mein Augenmerk auf kunstvollen Bauwerken, dem künstlerischen Spiel zwischen Mensch und Natur, einigen weihnachtlichen Kreationen und einer kleinen Geschichte liegen.
Beginnen möchte ich mit den baulich interessanten Dingen:
Diese kleine Kirche fanden wir in einem "gottverlassenen" Dorf
mitten in der Hochebene des Altiplano im Norden Chiles
Im Inneren entdeckten wir diese Deckenkonstruktion
Eisenbauwerk in der Geisterstadt Humberstone
Typische chilenische Grabmäler, geschmückt mit Hunderten von künstlichen Blumen,
dies artete für unseren Geschmack schon manchmal in Kitsch aus.
Bemaltes Haus in Mittelpatagonien
Häufig wird in Patagonien mit Holzschindeln gebaut...
...wie auch diese auf Stelzen gebaute Kirche, vermutlich um den 
patagonischen Winden und dem häufigen Regen zu trotzen.
Beeindruckender Brückenbau auf der Carretera Austral.
Welch verwirrender Stromleitungsbau!
Mensch und Natur stehen in wechselseitiger Verbindung und spielen bewußt oder unbewußt miteinander, zumal der Mensch ja auch Teil der Natur ist. Die folgenden Bilder betrachten diese Beziehung:
In Patagonien gedeihen die üppigen Rosensträuche
 an fast jeder menschlichen Behausung.
In einem chilenischen Städchen sind Menschen...
...diese umgarnende Beziehung
zu ihren Bäumen eingegangen.
Wenn der Mensch nicht mehr eingreift...
...verrotten die Dinge...
...und die Natur gewinnt langsam die Oberhand...
...nur die Geoglyphen scheinen Jahrhunderte zu überdauern.
Mißlungene Mensch-Natur-Synthese: Trotz großer Mühe gelingt es HW nicht,
sich in einen patagonischen Hirsch, genannt Huemul, zu verwandeln.
Sehr angerührt war ich von den verschiedenen Bemühungen der Chilenen, eine, trotz sommerlichen Temperaturen, einigermaßen weihnachtliche Atmosphäre zu schaffen. Einen echten Weihnachtsbaum zu schlagen kommt hier für keinen in Frage. So müssen andere Ideen her...
In Strandnähe konkurrieren Palme und
künstlicher Weihnachtsbaum.
Mit Plastiknetzen kreierter Baum in Patagonien
Am Heiligen Abend finden wir in Chile Chico dieses weihnachtliche Ambiente
und ich kann nicht umhin, mich selbst noch mit Kerze hinzuzustellen.
Weihnachtsbaumkonstruktion made in Chile
Dieses mit Drahtzaun geschützte Plastekrippenambiente fanden wir
zufällig in einem kleinen patagonischen Dorf.
Daneben stand dieser Weihnachtsbaum.
Man beachte das aufwendig interessante Recyclingdesign!
Anbetung des Jesuskindes hautnah...die Kinder durften mit ins Stroh.
Zum Abschluss noch eine kleine Fotogeschichte, wie sie im patagonischen Wind passiert ist...ohne Worte:




Mit meinem Lieblingsbild der Reise möchte ich mich nun vom Blog und allen treuen Lesern verabschieden. Es wird Zeit, sich wieder den winterlichen Realitäten Deutschlands zu stellen. Zum Glück kann ich all die atemberaubenden Farben, die wohltuende Wärme, das beglückende Temperament und die Schönheit der Südamerikaner in meinem Herzen mitnehmen und davon hoffentlich lange Zeit zehren.
Ciao Ramona



Samstag, 23. Januar 2016

Santiago und kreative Impressionen Teil 1

Sechs Wochen durch menschenarme Gegenden und dann die 6 Millionen Metropole Santiago - ein krasser Gegensatz, mit dem wir aber bestens leben können. Wir werden aufs Herzlichste bei Familie Barberis empfangen. Das Asado (ein großer Fleischbraten) ist schon angerichtet und wir können uns wie in ein gemachtes Nest fallen lassen. Unsere inzwischen 25 jährige ehemalige Gasttochter Sofia, die uns immer noch Muty und Fatty nennt, hat mit ihren Eltern und ihren beiden erwachsenen Schwestern alles perfekt und gutdeutsch durchgeplant. In Chile ist es absolut üblich, dass die Kinder bis zu ihrer Hochzeit bei den Eltern wohnen.  Wir verstehen uns alle auf Anhieb ausgezeichnet und können die chilenische Gastfreundschaft in vollen Zügen genießen. Da wir mit jeweils drei Töchtern die gleiche Familienkonstellation haben, gibt es natürlich viele vergleichende Analysen und dementsprechenden Spaß.
Gut aufgehoben und bewirtet bei Familie Barberis,
Conny, Laura, Carlos, Sofia und Haydee.
Santiago liegt wunderschön vor der 6000 m Kette der Anden,
leider macht der Smog den herrlichen Anblick häufig zunichte.
Am Hauptplatz harmonieren Historie und Moderne gut miteinander.
Endlich können wir auch die vielen Fragen loswerden, die sich in der Zwischenzeit beim Durchfahren des Landes aufgestaut haben. Vater Carlos, als selbstständiger Geschäftsmann hat natürlich deutlich konservative Ansichten und steht der aktuellen Links-Mitte-Regierung von Frau Bachelet, die übrigens im Exil in Leipzig Medizin studiert hat, sehr kritisch gegenüber. Als ehemaliger Offizier der chilenischen Armee, hat er detailreiche Kenntnisse zum deutschen Heereswesen, meist aber aus der Zeit vor 1945. Er ist begeistert von deutscher Marschmusik, spielt mir dabei seine Hits vor und bewundert die deutsche Disziplin. Wir müssen beide lachen, als ich ihm gestehe, ehemaliger Wehrdienstverweigerer zu sein und eher pazifistische Ansichten zu haben. Über unsere gemeinsame Begeisterung für Geschichte lassen sich aber sehr gut Brücken bauen. Die politischen Probleme mit Bolivien und Peru jetzt aus chilenischer Sicht zu hören, bestätigt wieder aufs Neue, sich bei Konflikten immer mit den Argumenten beider Seiten auseinanderzusetzen. Er freut sich sichtlich, als wir ihn einladen, sich die Schlachtfelder der Napoleonischen Kriege in Austerlitz, Jena und Leipzig bequem von Pirna aus zu erschließen.
Am Mahnmal für die Opfer der Diktatur 
Das Grab Victor Jaras, dem Wolf Biermann Chiles, ist auch nach
über vierzig Jahren noch liebevoll geschmückt.
Im "Künstlerviertel" Bellavista
auf dem Weg zum Haus Pablo Nerudas
Die Siesta ist bei der Hitze unumgänglich.
Auf der Suche nach chilenischen Künstlern
Santiago zeigt sich ganz von seiner Weltstadtseite. Saubere, schnelle Metroverbindungen, ausgezeichnete Routen für den Individualverkehr, beste Bedingungen für Fußgänger, wir geniesen es durch die Strassen zu spazieren, auch wenn die smoggeschwängerte Luftqualität noch nicht ganz mit  deutschen Verhältnissen mithalten kann. Wir besuchen das Wohnhaus von Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda, das Museum of Modern Art, das ausgezeichnete Menschenrechtsmuseum, dass die Ereignisse des Militärputsches und der Pinochetdiktatur hervorragend aufarbeitet und gehen zu den Gräbern von Salvador Allende und Victor Jara. Die Zeit des Putsches ist in der Stadt allgegenwärtig. Viele Monumente erinnern an die Opfer und Chile ist zurecht sehr stolz, dass die Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen ohne weitere Opfer ganz friedlich und mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgt ist.
Eine letzte Ausfahrt führt uns in die Hafenstadt Valparaiso, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört und wo seit einigen Jahren auch das Parlament seinen Sitz hat. Herrlich am Hang gelegen, verbreitet die Stadt mit alter und farbenreicher Architektur und 36 verschiedenen Standseilbahnen einen ganz eigenen Charme. Die hier lebenden Kunststudenten haben viele  ungepflegte, verfallende Fassaden in eine begehbare Kunstgalerie verwandelt.
Valparaiso - schon die Lage ist zauberhaft.
Direkt neben Valparaiso liegt Vina del Mar -
ein bevorzugter Urlaubsort für viele Chilenen
Die aus Blumen gestaltete Uhr ist eine Attraktion des Ortes
Als wir Santiago verlassen, haben wir nur einen möglichen Programmpunkt nicht erfüllt. Wir konnten zwar den Stadtteil, aber nicht die Straße lokalisieren, wo eine uns gut bekannte Deutsche immer noch residiert, die man mit ein paar interessanten Fragen hätte konfrontieren können: Margot Honecker.  Sparen wir uns also neue Betonkopfparolen und lassen lieber Ramona noch einmal zu Wort kommen:

Zum Ende meiner Reise in den Süden Amerikas, möchte ich teilhaben lassen an meinen Entdeckungen der südamerikanischen Kunst und den künstlerischen Inspirationen, die mir in Chile und Argentinien begegnet sind, insbesondere an der Berührung mit der Künstlerin Natur, die so atemberaubend kreativ ist, teilweise mit beängstigender Kraft, aber auch sanft und über Jahrtausende geduldig formend für eine "Sekunde" Schönheit. Vergänglich schön...für wen und wozu?
Ich denke, die Bilder sprechen für sich...
Eiskünstlerin
Farbkünstlerin
Formkünstlerin
Wolkenkünstlerin        
Webkünstlerin
Strukturkünstlerin
Entfaltungskünstlerin
Wasserkünstlerin
Neben der Künstlerin Natur berührt mich aber auch immer wieder die menschliche Lust, sich kreativ zu betätigen, die Welt schöner zu gestalten und vielleicht auch den Anspruch zu haben, das Innere des Gegenüber zu bewegen.
Was der eine schön empfindet, kann für den anderen schon abstoßend sein. Für jeden Menschen stehen die Grenzen anders und sind unterschiedlich durchlässig.
Anschließend zeige ich einige Bilder, die ausschließlich in Städten entstanden sind, da eigentlich nur da Graffities zu finden waren...dort zeigte sich das menschliche Bedürfnis, sich von anderen abheben zu wollen, besonders. Man möchte provokant oder auch einfach ansteckend kreativ sein und sich im öffentlichen Raum präsentieren:
Erste Begegnung in Punta Arenas, ganz im Süden...
ein noch sehr verhaltenes Werk
Weiter nördlich in Puerto Mont in der Nähe eines Marktes
Im Stadtzentrum von Valdivia
In Santiago findet man wesentlich mehr Graffities...
...insbesondere im Künstlerviertel Bellavista
In der Nähe vom Haus Pablo Nerudas
Manchmal wird ein Graffiti genutzt, um Verbote auszusprechen,
hier vor einer Kneipe.
In Valparaiso finden wir in einem Viertel,
in dem Studenten zu wohnen scheinen...
...an fast jedem Haus ein Graffiti.


Kunst und Schmiererei liegen hier aber auch manchmal nah beieinander...
...bei Letzterem sollte dann doch lieber zum Weiß gegriffen werden.
Teil 2 der kreativen Impressionen werden wir im nächsten Blog zeigen, bevor ich dann Hans Werner wieder ganz das Feld des Fotografierens überlasse und gen Deutschland fliege. Herzliche Grüße von Ramona und HW