Samstag, 16. Januar 2016

Mittelchile - Von Naturkatastrophen und anderen menschlichen Tragödien

Nach der abenteuerlichen Carreterra Austral haben wir für die 1000 km bis Santiago noch eine Woche Zeit. Jetzt gibt es eine Autobahn zwischen Süd und Nord, die sich jeweils etwa 100 km vom Pazifik und vom Andenkamm entfernt durch das Land zieht. Jetzt merken wir noch viel deutlicher, dass Chile in vielen Bereichen dem europäischen Standard entspricht.
Bei einem Abstecher an den Pazifik fahren wir durch das ursprüngliche Mapuche-Land. Dieses Volk hatte der Kolonialisierung durch die Spanier erfolgreich 300 Jahre widerstanden und das Land war offiziell vom spanischen König als eigenständiges Gebiet anerkannt. Erst nach der Unabhängigkeit Chiles wurde das Land "befriedet", wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Mit Truppenunterstützung konnten Siedler aus aller Welt einfach nach und nach die Besitzungen der Mapuche-Indianer übernehmen. Die Ureinwohner wurden zwar nicht in Reservate verfrachtet wie in Nordamerika, aber ihr Besitz blieb auf ähnlich schlechtes Land beschränkt.
Ein typisches Haus der Mapuche
Hier sieht man auch noch Ochsenkarren.
Mit Monika im Gemeinschaftshaus des Mapucheprojekts,
im Hintergrund sind Fotos der beteiligten Frauen.
Heute fristen sie genauso ein Schattendasein wie ihre Geschwister auf der Nordhalbkugel. Missioniert, schlecht gebildet, ihrer Traditionen größtenteils beraubt, stehen sie am Rand der Gesellschaft. Wir erfahren mehr aus dem Leben dieser chilenischen Ureinwohner von Monika, einer Berliner BWL-Studentin, die für eine Zeit in einem Fair Trade Projekt zur Vermarktung von Produkten mitarbeitet, die Mapuche-Frauen hergestellt haben.
In einem Dorf ehemaliger deutscher Siedler
haben sich uns sehr bekannte Begriffe erhalten.
Moderne Theaterarchitektur - hier bereichert der natürliche
Vulkanhintergrund das Bühnenbild - lassen Parallelen zu Europa zu.
Und auch die Landschaft erinnert manchmal an zu Hause.
Bei unserer Fahrt durch das Land lernen wir aber auch eine andere tragische Seite Chiles kennen, die mit den geographischen Verhältnissen zusammenhängt. Chile liegt an der Grenze mehrerer Gesteinsplatten, die sich aufeinander zu bewegen. Die dadurch entstehenden Kräfte entladen sich in Form von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und daraus folgenden Tsunamis.
Wir besuchen Valdivia, eine Stadt die 1960 vom stärksten je gemessenen Erdbeben heimgesucht, zu 90 % zerstört wurde und sich dabei komplett um 3 m abgesenkt hat. Der dabei entstehende Tsunami fiel mit voller Wucht und 25 m hohen Wellen über die größte chilenische Insel Chiloe her und forderte auch im fernen Japan noch Todesopfer.
Eine neue Kirche - die alte hat das letzte Beben nicht überstanden.
In Valdivia kommen die massigen Seelöwen
bis ins Stadtzentrum geschwommen
Nur selten erahnt man die zerstörerische Kraft des Wassers.
Wir fahren entlang der Anden flankiert von wunderschön anzusehenden Vulkanen und hören mit Entsetzen, dass in den letzten zehn Jahren mehrere von ihnen ausgebrochen sind. Die Leute vor Ort sprechen nicht sehr gern darüber. Ein Mann klopft bei Nachfrage lächelnd auf den Tisch, was soviel bedeutet wie: den Vulkan bitte nicht durch unnötiges Nachfragen aufwecken. Am Pazifik sehen wir noch einige Folgen des Tsunamis von 2010, der ebenfalls nach einem Erdbeben ausgelöst wurde. In einer mittleren Kleinstadt bewundern wir eine künstlerisch sehr ansprechende moderne Kirche und erfahren, dass die alte vor drei Jahren bei einem Erdbeben eingestürzt ist.
Der Vulkan Osorno...,
...an dem wir in diesem Hüttchen ein paar Tage ausruhen...,
...zieht uns mit seiner Schönheit in den Bann.
Eine Nacht verbringen wir bei Donna Maria und ihrer Familie, die eine kleine Landwirtschaft betreibt. Wir werden aufs Herzlichste aufgenommen und von ihrem Sohn, der gerade Lehramt studiert, bei einem Spaziergang mit der Geschichte des Dorfes vertraut gemacht. Ihr Haus ist beim letzten Erdbeben eingestürzt. Sie haben sich ein neues gebaut, was aber wesentlich kleiner ist und kaum die ganze Familie beherbergen kann. Sie sprechen mit Schaudern über das Beben, sind jedoch überhaupt nicht verbittert. Das Leben ist schwer, aber auch schön. Das ist es, was uns auffällt. Ein bemerkenswerte Gelassenheit gegenüber den Katastrophen begegnet uns, die wir uns für Deutschland so nur schwer vorstellen können. Die Menschen hier packen an und in relativ kurzer Zeit sind die Folgen beseitigt. Nur bei genauerem Hinsehen kann man die Auswirkungen der Naturkatastrophen noch erkennen.
Im Dorf von Doña Maria....,
....sehen wir typische alte Bauernhäuser....
und bekommen eine interessante
Privatführung von Sohn Esteban.
Eine Katastrophe ganz anderer Art begegnet uns beim Besuch der ehemaligen Colonia Dignidad, einer Siedlung deutscher Auswanderer unter Führung des pädophilen Predigers Paul Schäfer. Sie heißt inzwischen Villa Baviera und versucht nach Aufdeckung der Untaten und nach Ergreifung, Verurteilung und dem inzwischen erfolgten Ablebens des Sektengründers ein neues Leben zu beginnen. Wir verbringen einen ganzen Tag auf dem Gelände und haben die Gelegenheit mit vier ehemaligen Opfern zu sprechen.
Villa Baviera - wenig deutet auf die schreckliche Vergangenheit hin.
Im Laden werden typisch deutsche Produkte angeboten,
 wir können endlich wieder einmal Schwarzbrot kaufen.
Die ehemalige Abhörzentrale im Keller
Was wir zu hören und zu sehen bekommen über den Terror, die körperlichen und psychischen Folterungen, über das Innenleben der Sekte und die Gefühle der Opfer hat uns zutiefst erschüttert. Wir haben beschlossen, auch aus Rücksicht auf die Schicksale der Menschen, darüber nicht öffentlich im Blog zu berichten. Sehr gern schicken wir aber unsere Eindrücke denjenigen zu, die daran Interesse haben. Es scheint den Opfern ein echtes Anliegen zu sein, dass die verübten Verbrechen nicht weiter im Dunkeln bleiben. Bitte schickt uns dazu eine kurze Mail (hwsonntag@web.de), ihr erhaltet dann einen Bericht über unser Erleben.
Jetzt sind wir wenige Kilometer vor Santiago und werden in Kürze bei Sofia und ihrer Familie eintreffen. Darauf freuen wir uns und verbleiben wie immer mit ganz herzlichen Grüßen. Ramona und HW

6 Kommentare:

  1. Friedmar Sonntag16. Januar 2016 um 13:22

    Ich habe großes Interesse an euren Bericht. Bitte zumailen. Weiter gute Reise! LG fried

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  2. dito. wahnsinn, was menschen manchmal mit anderen menschen machen. die oberschurken schäfers und seewald sind ja erst in gesegnetem alter verstorben, andere leben unnötigerweise noch. mannmannmann.
    die telefone in der abhörzentrale sehen übrigens verdammt nach ddr aus.

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    1. Herr Hopp, der ja seit einigen Jahren in Deutschland auf freiem Fuss lebt, wurde von unseren Gesprachspartnern sehr hoch geschätzt und etwas in Schutz genommen, was aber Menschenrechtsorganisationen über ihn gesammelt haben, das ist genauso unglaublich.
      Mit Telefonen kennst du dich besser aus als ich... Gruß in dein deutsches Dörfchen...;-)

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  3. und wem glaubt man in deinem falle dann - den betroffenen oder den ...organisationen?

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    1. Na ja, am besten lies dir mal den Zusatzbericht durch und evt. die zugehörige Quelle von Human Rights. Dann kannst Du dir ein eigenes Bild machen. Für mich war das sehr erhellend....

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